Ein Ton herzzerreißender Tragik

„Ein ganzes Leben“ von Hans Steinbichler

von Renate Wagner

Ein ganzes Leben
Österreich/Deutschland 2023

Regie: Hans Steinbichler
Mit: Ivan Gustafik / Stefan Gorski / August Zirner, Julia Franz Richter, 
Maria Hofstätter, Andreas Lust u.a
 
Geschichte von unten“ zu erzählen, ist ein Trend unserer Zeit. Vor allem bäuerliche Schicksale häufen sich in Romanen und Filmen. Im Vorjahr sah man „Märzengrund“, wo Felix Mitterer von einem Aussteiger-Bauern erzählt, der ein materiell reiches Leben ablehnte und auf die Alm ging, und „Der Fuchs“, wo Adrian Goiginger das tragische Schicksal seines als Kind weggegebenen Bauern-Großvaters bis zum Zweiten Weltkrieg verfolgte. Nun ist in „Ein ganzes Leben“ von Hans Steinbichler der einfache Mann Andreas Egger an der Reihe, der von seinen heimatlichen Alpen nie weiter weg kam als im Krieg bis zum Kaukasus und im übrigen sein schlichtes Leben damit verbrachte, Seilbahnen erst zu bauen und dann zu warten.
Robert Seethaler (auch bekannt für „Der Trafikant“, ebenfalls verfilmt) hat den Roman „Das einfache Leben“ geschrieben und überdimensional viel Ruhm damit geerntet. Regisseur Hans Steinbichler hat nun einen Film daraus gemacht, der sich bemüht, die programmierte Schlichtheit der Vorlage in adäquate Bilder umzusetzen.
 
Dabei es ist schon von Anfang an auch ein Ton herzzerreißender Tragik angeschlagen, wenn wieder einmal (wie offenbar in den bäuerlichen Regionen nicht unüblich) ein unerwünschtes Kind weitergereicht wird und in der neuen Umgebung auch höchst unerwünscht ist. Andreas Egger (als Kind Ivan Gustafik) findet im entfernten Verwandten Kranzstocker (Andreas Lust) einen bösartigen, gewalttätigen Vormund, und nur von einer alten Frau (Marianne Sägebrecht) geht, wie so oft, etwas Menschlichkeit aus.
Junge Männer (in der längsten Phase des Films: Stefan Gorski) sind dann, wenn sie auf eigenen Beinen stehen konnten, davongelaufen. Andreas weiß nach den Erfahrungen am Hof, daß er kein Bauer sein will. Aber es gibt andere Möglichkeiten, der Tourismus winkt, Seilbahnen werden gebaut, Andreas lernt sich in dieser Branche an, die ihn fast ein Laben lang ernähren wird (denn nach der Errichtung folgt die Wartung). Aber es ist eine schwere, gefährliche Arbeit, wo er sich „für jeden Groschen den Hintern aufreißen“ muß.
Weil solche Schicksale in Roman und Film programmatisch tragisch sind, ist die Liebesgeschichte zwischen Andreas und Marie (Julia Franz Richter) kurz, sie stirbt unter einer Lawine, die vermutlich durch die Sprengung für den Seilbahnbau ausgelöst wurde, er überlebt (mit folgender Gehbehinderung) durch Zufall, und von da an gibt es keine Freude mehr in seinem Leben. Darum sucht er auch den Weltkrieg, wo man ihn in den Kaukasus schickt, aber der Tod holt ihn noch nicht, nur die russische Kriegsgefangenschaft.
Als alter Mann heimgekehrt (alle im Dorf wundern sich, daß er nicht längst tot ist), der sich nun mit Hilfsarbeiten ernähren muß, gibt es einen seltsamen, geradezu brutalen Zusammenstoß mit einer selbstbewußten, aggressiven Lehrerin (Maria Hofstätter), der nur klar macht, daß er für „normales“ Leben nicht geeignet ist. Glücklich kann ein Mensch wie er, dem „die Kälte die Seele zerfrißt“, nie mehr sein.
 
Der alte Andreas (August Zirner) kann schließlich davon profitieren, daß er das Tal und seine (miterlebte) Geschichte kennt wie kaum einer, und arbeitet als Fremdenführer. Als einziges magisches Element in der traurig-realistischen Geschichte hat sich einst der Glaube an die „kalte Frau“ eingeschlichen, die den Tod bringt. („Dem Tod rennt man nicht davon“, hat ihm einst ein Totengräber düster gesagt.) Die weiße Frau des Todes, die im Roman noch einmal vorkommt und Andreas endlich erlöst, spart der Film dann aus.
So geht man mit Andreas knappe zwei Stunden lang durch die Elegie seines Lebens, das mit harter Arbeit gefüllt ist. Ein bißchen Glück gibt es zwischendurch, sonst hauptsächlich fast wunschloses Unglück dessen, der gelernt hat, die Schläge des Schicksals hinzunehmen. Er ist wortkarg wie viele Bergmenschen und lebt mit der Landschaft.
Bei aller zelebrierten Einfachheit kommt der Film doch bedeutungsschwer (und nicht unkitschig) daher. Natürlich geht es in der Kunst immer auch um Schicksale, sowohl um besondere wie auch (neuerdings bevorzugt) ganz gewöhnliche, allgemeine, die dann ihre kleinen besonderen Nuancen haben. Aber stellenweise fragt man sich doch, ob man sich für diesen stillen Mann wirklich interessiert.
 
 
Renate Wagner